Semi-Public Charging für E-Lkw: Wann es sich lohnt – Technik, Abrechnung, Lastmanagement

Semi Public Charging - Halb-Öffentliches-Laden

Wenn das Depot tagsüber „Lade-Leerstand“ hat – und draußen Ladebedarf wächst

Viele Betriebe dimensionieren ihre Ladeinfrastruktur für die eigene Flotte: nachts laden, tagsüber fahren. In der Realität bleiben jedoch Leistung und Stellflächen zu bestimmten Zeiten ungenutzt – während gleichzeitig entlang typischer Routen und in Logistikclustern Lkw-taugliche Ladeoptionen fehlen.

Genau hier setzt Semi-Public Charging an: Betriebe öffnen ihre eigenen Ladepunkte zeitweise für externe Nutzer – zum Beispiel am späten Vormittag, wenn die eigene Flotte unterwegs ist. Daimler Truck baut dieses Modell aktuell unter dem Begriff „Semi-Public Charging/TruckCharge“ mit ersten Pilotkunden auf. (Daimler Truck)

Die entscheidende Frage lautet nicht „kann man das?“, sondern: Lohnt es sich – wirtschaftlich und betrieblich – ohne dass das Depot aus dem Takt gerät?

Warum das Thema relevant ist

  • Der Hochlauf von E-Lkw erhöht den Bedarf an verlässlichen Ladepunkten in Knotenpunkten (Gewerbegebiete, Terminals, Distributionszentren) und auf Korridoren.
  • Semi-Public kann als Brückenmodell zwischen reinem Depot-Laden und klassischem öffentlichem Laden funktionieren – allerdings nur, wenn Zugang, Abrechnung und Betrieb professionell gelöst sind. Daimler Truck adressiert genau diese Lücke mit seinem Semi-Public-Ansatz und verweist zugleich auf die Ergänzung zum öffentlichen Netzwerk (u. a. Milence).
  • Auf EU-Ebene gelten für öffentlich zugängliche Ladepunkte klare Anforderungen an Ad-hoc-Zugang, Bezahlung und Preistransparenz. Wer „für Dritte öffnet“, sollte diese Schwelle bewusst managen.

Was „Semi-Public“ praktisch bedeutet

Semi-Public Charging heißt: Ein Unternehmen betreibt Ladepunkte primär für sich selbst, öffnet sie aber in definierten Zeitfenstern für Dritte (z. B. Partner-Speditionen, Subunternehmer, ggf. auch „breiter“). Typisch sind Regeln wie:

  • Reservierbare Slots (z. B. 10:00–16:00)
  • Zugang über Karten/App/QR oder vorher registrierte Flotten
  • Klare Prioritäten: Eigene Flotte sticht externe Nutzer

Wann wird ein Standort „öffentlich zugänglich“ – und warum ist das wichtig?

Sobald externe Nutzer tatsächlich laden können, greifen in vielen Fällen Pflichten, die die EU für „publicly accessible recharging points“ also „öffentlich zugänglich“ vorsieht – darunter:

  • Ad-hoc-Laden muss möglich sein (kein Zwang zu einem langfristigen Vertrag).
  • Elektronische Bezahlung muss ermöglicht werden (für neue öffentlich zugängliche Ladepunkte ab bestimmten Stichtagen).
  • Preise müssen transparent und vergleichbar dargestellt werden; bei ≥50 kW gilt kWh-Preis als Basis, optional ergänzt durch Minuten-/Blockiergebühr, die vor Start sichtbar sein muss.

Praxisübersetzung: „Wir öffnen nur für Partner“ ist organisatorisch deutlich einfacher als „jeder kann kommen“ – und beeinflusst Pflichten, Betrieb und Supportaufwand.

Kurz gefasste Fakten: Drei wirtschaftliche Hebel entscheiden über „lohnt sich“

  1. Auslastung: Haben Sie wirklich regelmäßig freie Ladezeit und Stellfläche?
  2. Netzkosten & Leistungspreis: Semi-Public kann Lastspitzen erhöhen – und damit die Stromnebenkosten.
  3. Betriebskosten: Zugang, Abrechnung, Support, Störungsmanagement, Daten/Transparenz – das ist laufender Aufwand, kein Einmaleffekt.

Wann sich Semi-Public Charging typischerweise lohnt

1) Sie haben planbare „freie“ Fenster

Beispiel: Depot lädt die eigene Flotte vorrangig nachts. Tagsüber sind 2–4 Ladepunkte oft frei. Dann kann Semi-Public Zusatzumsatz bringen, ohne die eigene Tourenplanung zu gefährden.

Warnsignal: Wenn Sie schon heute knapp am Limit fahren (zu wenig Leistung, zu wenig Stellplätze, häufige Umparkvorgänge), wird Semi-Public fast immer zum Stresstest.

2) Ihr Standort ist für externe Lkw logisch erreichbar

Semi-Public funktioniert am besten dort, wo Lkw ohnehin hinmüssen:

  • Logistikachsen, Urban Nodes, Häfen/Terminals
  • Gewerbeparks mit mehreren Logistikern
  • Standorte nahe Autobahnabfahrt, aber ohne komplizierte Zufahrt/Rangierhürden

3) Sie können „Betriebsfähigkeit“ liefern (oder verlässlich einkaufen)

Das ist der Punkt, an dem viele Projekte kippen. Semi-Public ist nicht nur Hardware – es ist ein Dienst:

  • Wer darf wann laden?
  • Wie wird abgerechnet – rechtssicher und nachvollziehbar?
  • Was passiert bei Störung/Fehlbelegung?
  • Wie schützen Sie Netzanschluss und Kosten?

Technik: Was ein Lkw-tauglicher Semi-Public-Standort wirklich braucht

1) Layout & Betrieb: Lkw-tauglich ist mehr als „350 kW“

Ein Lkw-Ladepunkt ist ein logistischer Prozess:

  • Durchfahrbarkeit (kein Rangierpuzzle)
  • Kabelmanagement (Sicherheitsrisiko vermeiden)
  • Standzeiten (Blockierung kostet Geld)
  • Zugangsführung (Schranke, Check-in, Slot-Management)

Praxisregel: Wenn Sie den Standort heute nicht „staufrei“ abfertigen können, wird Semi-Public die Situation verschärfen.

2) Heute CCS, morgen MCS: Warum das die Netzfrage verschärft

Für Heavy-Duty wird perspektivisch das Megawatt Charging System (MCS) relevant, um in kurzen Pausen sehr große Energiemengen zu laden. CharIN beschreibt MCS als Lösung für sehr hohe Ladeleistungen und stellt dazu technische Grundlagen bereit.

Praxisfolge: Wer Semi-Public plant, sollte die elektrische Infrastruktur so auslegen, dass Upgrades (Leistung, Trafokapazität, Verteilung) nicht jedes Mal ein Neubau werden.

3) Backend, Zugriff, Reservierung

Hier entscheidet sich, ob es „Depotchaos“ oder „planbares Angebot“ wird:

  • Zugang: Partner-Flotten (Whitelist) vs. breiter Zugang
  • Reservierung: Slot-Buchung, No-Show-Regeln, Blockiergebühren
  • Monitoring: Live-Status, Verfügbarkeit, Störmeldungen

Abrechnung & Recht: Was Betreiber früh klären sollten

1) AFIR: Ad-hoc, Bezahlmöglichkeit, Preistransparenz

Für öffentlich zugängliche Ladepunkte gilt u. a.:

  • Ad-hoc-Laden muss möglich sein.
  • Für neue öffentlich zugängliche Ladepunkte muss elektronische Zahlung ermöglicht werden; die EU-Kommission stellt klar, dass „nur bar“ nicht ausreicht.
  • Preise müssen transparent angezeigt werden; bei ≥50 kW ist der kWh-Preis die Basis, optional ergänzt um Minuten-/Blockiergebühren – sichtbar vor Start.

2) Deutschland: Mess- und Eichrecht

Wenn Sie Strom verkaufen und abrechnen, müssen Messwerte nachvollziehbar und manipulationssicher sein. In der Praxis bedeutet das oft:

  • eichrechtskonforme Messung (kWh-basiert)
  • Transparenz: der Nutzer muss die Abrechnungsdaten prüfen können (z. B. über Transparenzsoftware)
    Die PTB listet validierte Transparenzsoftware für Ladeeinrichtungen.
    Ein praxisnaher Überblick zu Anforderungen (u. a. kWh-Abrechnung, Nachprüfbarkeit, Ausweisung von Zusatzentgelten) findet sich z. B. bei einer Eichbehörde. (Eichamt Sachsen)
    Auch die DKE ordnet eichrechtskonformes Laden und die Rolle von Anwendungsregeln ein.

Wichtig: Die genaue Ausgestaltung hängt vom Betreiber-/Abrechnungsmodell ab. Entscheidend ist, dass Abrechnung und Nutzer-Nachweisführung sauber zusammenpassen.

Lastmanagement: Der Unterschied zwischen „zusätzliches Geschäft“ und „teures Nebenprojekt“

Bei E-Lkw ist Leistung schnell der Engpass. Semi-Public ohne Lastmanagement führt häufig zu zwei Problemen: Netzanschlussüberlast oder Kostenexplosion (Leistungspreis/Peak).

Ebene 1: Anschluss schützen (Pflicht)

Dynamisches Lastmanagement verteilt die verfügbare Anschlussleistung auf mehrere Ladepunkte. Wenn intern gerade viel geladen werden muss, bekommen externe Sessions weniger oder werden zeitlich gesteuert.

Ebene 2: Kosten stabilisieren (Peak-Shaving)

Peak-Shaving bedeutet: Lastspitzen kappen, damit der höchste Leistungswert im Abrechnungszeitraum nicht unnötig steigt. Gerade bei Semi-Public ist das wichtig, weil externe Ladevorgänge oft „unplanbar“ wirken.

Ebene 3: Betrieb steuern (Prioritäten)

Ein gutes EMS/Lastmanagement kann Regeln umsetzen wie:

  • „Eigene Flotte Priorität 1“
  • „Externe nur in Slots“
  • „Mindestleistung je Ladepunkt“
  • „Reservierung nur, wenn Leistung verfügbar“

Mini-Rechenbeispiel: Wie Sie die Wirtschaftlichkeit grob einschätzen

Nehmen wir an:

  • Externe Nutzung: 200 MWh/Jahr
  • Marge (vereinfacht): 0,12 €/kWh (nach Strombezug, Betrieb, Roaming/Payment; Beispielwert)
    24.000 € Deckungsbeitrag/Jahr

Jetzt die Gegenrechnung (typische Kostentreiber):

  • zusätzlicher Betrieb/Support/Backend: z. B. 10.000–25.000 €/Jahr
  • größter Hebel: steigt durch Semi-Public die Lastspitze deutlich, kann das den Vorteil schnell aufzehren (je nach Tarifstruktur/Leistungspreis)

Praxisnutzen: Das Beispiel zeigt nicht „die Wahrheit“, sondern den Mechanismus: Semi-Public ist ein Lastprofil-Thema. Ohne Messdaten/Lastgang bleibt es Spekulation.

Die 5 häufigsten Fehler (und wie man sie vermeidet)

  1. „Wir öffnen einfach den Hof“
    Ohne Regeln, Zufahrtsführung, Slots und Support eskaliert der Betrieb.
  2. Layout nicht Lkw-tauglich
    Zu enge Flächen führen zu Stau, Sicherheitsrisiken und Frust.
  3. Abrechnung wird unterschätzt
    Mess-/Eichkonformität und Nachweisführung müssen von Anfang an mitgedacht werden.
  4. AFIR-Pflichten werden erst nach dem Go-Live erkannt
    Ad-hoc-Zugang, Bezahlmöglichkeit, Preisdarstellung sind keine „optional später“-Themen, wenn ein Standort faktisch öffentlich zugänglich ist.
  5. Lastmanagement als Nachtrag
    Dann wird es teuer: neue Hardware, Umbau der Verteilung, unklare Prioritäten – und am Ende trotzdem Peak-Risiko.

So kommen Sie zu einer belastbaren Entscheidung

Schritt 1: Lastprofil & Ladefenster (Daten statt Bauchgefühl)

  • 4–8 Wochen Lastgangdaten prüfen (15-min-Werte)
  • Ladefenster der eigenen Flotte definieren
  • „Freie Kapazität“ als kW und als Zeitfenster quantifizieren

Schritt 2: Standort-Check (Lkw-Tauglichkeit)

  • Zufahrt, Rangierflächen, Stellplätze, Sicherheitskonzept
  • Betriebsregeln: Slots, No-Show, Blockierregeln

Schritt 3: Betreiber- & Abrechnungsmodell

  • Eigener Betrieb oder Partner (CPO/MSP)?
  • Zahlungs- und Preisdarstellung (bei öffentlich zugänglich) gemäß AFIR-Logik (EUR-Lex)
  • Mess-/Eichkonzept inkl. Transparenz/Nachprüfbarkeit (ptb.de)

Schritt 4: EMS/Lastmanagement-Design

  • Prioritätenregeln (intern vs extern)
  • Peak-Strategie (Peak-Shaving)
  • Reservierung nur „wenn Leistung da ist“

Fazit

Semi-Public Charging kann für E-Lkw ein sinnvoller Hebel sein – wenn der Standort echte freie Kapazität hat, die Nachfrage standortlogisch ist und Abrechnung/Regelwerk/Lastmanagement als integriertes Betriebsmodell geplant werden. Wer diese Punkte sauber vorbereitet, schafft ein Angebot, das zusätzliche Erlöse ermöglicht, ohne das Kerngeschäft (Depotbetrieb) zu gefährden.

Wenn Sie das Thema konkret prüfen möchten, kann emobicon einen kompakten Semi-Public-Fit-Check als Standortanalyse erstellen (Lastprofil, Standortlayout, Abrechnungspfad, EMS-Konzept) – als Entscheidungsgrundlage inklusive Maßnahmenplan.

Quellen und weitere Infos:

CharIN – Megawatt Charging System (MCS) Grundlagen & Whitepaper: (CharIN)

Daimler Truck – Semi-Public Charging / Pilotkunden (Press Release, 11.12.2025): (Daimler Truck)

Daimler Truck – Ausbaupläne TruckCharge & Einordnung zu Milence (Press Release, 27.03.2025): (Daimler Truck)

EU-Rechtsgrundlage AFIR – Regulation (EU) 2023/1804 (EUR-Lex): (EUR-Lex)

AFIR Artikel 5: Ad-hoc-Zugang, Bezahlmöglichkeiten, Preistransparenz (Textauszug im EUR-Lex-HTML): (EUR-Lex)

EU-Kommission Q&A zu AFIR (u. a. zu Zahlungsanforderungen): (Mobility and Transport)

PTB – Transparenzsoftware (eichrechtsrelevanter Praxisbaustein): (ptb.de)

Eichbehörde (Praxisanforderungen kWh-Abrechnung/Nachprüfbarkeit): (Eichamt Sachsen)

DKE – Einordnung eichrechtskonformes Laden / Anwendungsregel: (DKE)

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Foto des Autors

von Ralf Herzig

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